Heinz

Heinz ist 83 Jahre alt. So alt wie meine Mutter. Er saß neben mir am Tresen am ‚Bierbrunnen‘, das ist ein Treffpunkt in unserer Kieler Einkaufspassage ‚Sophienhof‘. Man trinkt dort sein Bier, wenn man keine Lust mehr aufs Einkaufen hat oder auch so..

Bei mir war das ‚oder auch so‘, weil das Wochenende angebrochen war und ich zu Hause gesagt hatte: „Ich geh jetzt noch mal in die Stadt, kommst Du mit; Antwort neeeeee…. geh man“.

Also saß ich da, am Tresen, und hatte auf dem Tresenhocker eineinhalb Veltins-Biere vor mich hin philosophiert. Man sieht Hinz und Kunz und auch noch andere Leute vorbeigehen und versucht die Fäden im Gehirn, die so vor sich hin schweben, zu einem roten Faden zusammen zu knüpfen. Egal…

Dann kam Heinz. Er ist ein alter Mann, dem man sein Alter auch ansieht. Er setze sich genau neben mich auf den Hocker, und man merkte gleich, dass Heinz zum Inventar gehört. Ich hatte ihm respektvoll den nötigen Spielraum eingeräumt. Er wurde gleich von XXXXX bedient, einem freundlichen, 34-jährigen Mädchen, das ihn im weiteren Verlauf des Gesprächs als ihren ‚Adoptivvater‘ bezeichnete, weil sie Heinz schon seit fünf Jahren kannte. Das Alter (leider aber nicht den Namen) von XXXXX habe ich mir deshalb merken können, weil sie so alt war (und ist) wie meine erste Tochter. Jetzt muss ich zu meiner Schande einfügen, dass meine erste Tochter schon 36 Jahre alt ist, aber es spielt keine gravierende Rolle.

Ich bin dann mit Heinz ins Gespräch gekommen und habe dabei gedacht, dass man die wirklich alten Leute, wenn sie denn wollen, ausfragen muss, damit die ‚jungen‘ Leute noch im Original hören können, wie es ‚damals‘ gewesen ist. Ich denke dabei an meinen Vater, der vor zwei Jahren im Alter von 83 Jahren verstorben ist und an meine Frau, die immer noch bedauert, dass ihr Vater, der im Alter von fast 93 Jahren verstarb, viel zu wenig aus seinem Leben erzählt hat.

Heinz hat sich ausfragen lassen. Teils hat er direkt geantwortet, wenn ich z.B. fragte: „..und hat das Haus noch gestanden, nachdem ihr die Brandbombe gelöscht habt..“ oder „..und wie war das denn in der Gefangenschaft..“ und teils hat er von selbst erzählt, teils mit dem Zusatz „..eigentlich erzähl ich davon nichts, aber wenn man zwei drei Biere getrunken hat..“.

Ich werde jetzt in Stichworten aufschreiben, was er mir erzählt hat:

Heinz war Maler in Kiel, er hatte verschiedene Arbeitgeber, seine Frau ist vor 20 Jahren an Darmkrebs verstorben.

Er wurde 1940 oder 1941 eingezogen und war zuerst als Soldat auf dem in Russland und auf dem Balkan.

Als er sich später entscheiden musste, „Russland oder Afrika“. hat er sich für „Afrika“ entschieden.

Sie wurden in Richtung Afrika transportiert, blieben aber auf Kreta hängen, weil die Sache mit Rommel in Afrika schief gegangen war.

Die Zeit auf Kreta war auch kein Zuckerschlecken, weil mit den Partisanen nicht zu spassen war.

Heinz hat herabgestürzte Flugzeuge gesehen, Max Schmeling soll auch mit diesen Dingern geflogen sein.

Auf dem Rückzug von Kreta ging es nach Griechenland.

Von dort aus hat er Heimaturlaub bekommen. In Kiel mussten sie in den Keller, weil Bomben fielen

Einmal sind er und ein Kumpel nach dem Angriff auf den Boden gestiegen und haben mit Sand eine Brandbombe gelöscht, sonst wäre das Haus abgebrannt.

In Griechenland haben die Amerikaner sie erwischt, er wurde verwundet

In Österreich war er im Lazarett

In amerikanischer Gefangenschaft war es nicht richtig schlimm, schon 1945 bekam er Entlassungspapiere und konnte den Heimweg nach Kiel antreten.

Ausgestattet mit diesen Papieren hätte er sich Zeit für den Rückweg nach Kiel nehmen können, er wollte aber schnell nach Hause, weil er ja nicht wusste, wie es zu Hause aussah.

In Kiel wurde gehungert, es gab Rüben, Rüben, Rüben…

Von den Konzentrationslagern haben sie nichts gewusst. Die Juden, dachte man, waren wohl in Arbeitslagern oder so

Man durfte ja nichts sagen. Einmal hat jemand einen russischen Sender abgehört. Das war ein grosses Risiko.

Heinz hat zwei Töchter, mit der älteren (oder war es die jüngere) hat er noch Kontakt.

Gesund ist er auch nicht (nach zwei Darm-Op’s). Aber es geht. Er wollte nicht über Krankheiten reden.

Heinz hat mit der Mutter, Frau und zwei Kindern lange in einer Wohnung gelebt. Das war nicht gut. Seine Mutter wurde psychisch krank. Die Ehe ging unter diesen Bedingungen kaputt. Ein Jahr, bevor die Mutter starb musste sie nach Heiligenhafen gebracht werden. Das war eine ‚Anstalt‘, in der psychisch Kranke weggeschlossen wurden

Heinz ist gut drauf. Er verlässt so gut wie jeden Tag seine Wohnung und trinkt im Sophienhof sein Bierchen.

Heinz findet, dass die Türken, die er in Kiel kennt, uns im Umgang mit den Alten in der Familie weit voraus. Wenn Not am Mann ist, macht eben Irgendjemand aus der Familie die Arbeit. Nie und nimmer kämen die Alten in ein Altenheim.

6 Gedanken zu „Heinz“

  1. Es ist sehr, sehr wichtig solche Sachen festzuhalten. Ich trage seit Jahren ein Projekt im Hinterkopf, das Leben meines Opas (mit 91 gestorben) nieder zu schreiben. So weit ich es kenne. Wäre natürlich auch gleichzeitig das Leben meiner Familie. Das ist wie mit Fotos. Irgendwann weiß keiner mehr, wer auf den Bildern abgebildet ist. Mein Vatter hat auf alte Bilder immer hinten drauf geschrieben, wer vorne abgebildet ist. Auch sehr wichtig.

  2. Auf dem Flohmarkt findet man ab und zu diese Kartons, in denen die Familienfotos liegen. Niemand, auch nicht der Verkäufer, weiss, um welche Personen es sich gehandelt hat. Vermutlich ist ein alter Mensch in seiner Wohnung gestorben oder in ein Krankenhaus eingeliefert worden und die Fotos sind auf dem Tapeziertisch eines Flohmarkthändlers gelandet.

    Ich glaube auch, dass es wichtig ist, Erinnerungen festzuhalten. Man wird es wohl ausnahmslos nur für sich selbst machen. Ob davon etwas übrig bleibt, und sozusagen in das kollektive Gedächtnis sickert, ist die Frage.

  3. Die Frage ist, ob die Geschichte von Heinz sich ein bischen mir der Geschichte deines Vaters decken könnte. So ein bischen vielleicht? Auf der anderen Seite weiss man natürlich nie wirklich was wahr war und was nicht. Oder ob die erlebte Wahrheit die Sprache nicht zuliess. Das werden wir wohl niemals herausfinden. Ich kenne die rudimentären Geschichten auch, die russische Zeit and die Zeit vor dem Krieg. Aber das ist auch alles. Mein wirkliches Wissen fing 1967 an, und das wahr wohl auch Grosselternmässig verklärt. Schwieriges Thema.

    Und damit wäre ich bei meinen eigenen eigenartigen Angelegenheiten angelangt. Wie geht ich mit der väterischen Vergangenheit um, die einzigartig nebulös vor sich hin wabert.

    Ein Vater kann sich verschliessen durch ein bockiges „ich will über nix reden“, oder er verschwindet gleich ganz von der Bildfläche. Für die bockigen Väter empfehle ich die Süssholzraspelmethode und für den Fliehenden geeignete Scotland Yard Methoden um den Kerl in seinem Versteck zu überraschen. (Ich hoffe nicht zu spät). Und dann werde ich nur zuhören. Über ein Bier.

  4. Jetzt, wo kaum noch festzustellen ist, was war, wir die Zeit nur noch second hand also aufbereitet erfahren können, kriechen die Kaninchen aus dem Stall und produzieren ‚Aufarbeitung‘. Immerhin gibt es Fotos, Fotos des Schreckens und des Grauens.

    Ich bin mal gerade 3 Jahre älter als Sie. Die 3 Jahre bringen mich ein klein wenig näher an die Zeit. Was ich erinnern kann, habe ich mal aufgeschrieben
    http://www.mehrzweckbeutel.de/comments.php?id=122_0_1_0_C
    Vielleicht interessiert’s den einen oder anderen. Was meine Eltern zu der Zeit dachten, habe auch ich nicht erfahren. Wenn ich meinen Vornamen und den meiner Geschwister so sehe, dann sind die im schlimmen Sinne deutsch. Das kann bei meinem Vater, Jahrgang 1897, jedoch kaum mit der Hitlerzeit zusammenhängen. Da grüßt noch das Kaiserreich. Diese nationalistische Deutschtümelei ist ja auch älter als das Tausendjährige Reich. Und wenn ich mir so einige Politiker und einiges Gerede auf der Straße anhöre, so ist das immer noch nicht bei allen überwunden. Hatten wir nicht gerade so eine Patriotismus-Debatte?

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