Jugendsünden

Sünde Nr. Eins:
Dem Fräulein Zweite von links (damals sagte man noch Fräulein) habe ich als Lehrling eine tote, aber vertrocknete Maus in den Typenkorb der Schreibmaschine gelegt. Die Tat war zwar gemeinschaftlich geplant, ich war aber das ausführende Organ. Nach sehr kurzer Ermittlungsphase (“Wer war das?”) stand ich als Täter fest. Der Chef (nicht im Bild) rief mich zu sich und klärte mich über die Unrechtmäßigkeit meines Tuns auf. Weitere Sanktionen unterblieben.

Sünde Nr. Zwei:
Zu dem Fräulein Vierte von rechts (jawohl, sie war ein “Fräulein Nnn”) sagte ich ziemlich wörtlich:

Es ist mir doch egal, wie man bei Ihnen in der Pollackei die Äpfel isst!

Fräulein Nnn, die mich erzieherisch beeinflussen wollte, hatte gerade meine Technik des Apfelessens kritisiert. Bei dem Spruch, der mir darauf hin entfleuchte, hatte ich nicht berücksichtigt, dass sie eine Vertriebene aus Stettin war, das ja bekanntlich bis zum Kriegsende deutsch war.
Fräulein Nnn behandelte mich bis zum Ende der Lehrzeit dann deutlich reservierter.

Nachtrag: Karriere!

Die Mauer

Heute hätten wir wohl nicht spazieren gehen sollen.

Schon während der kurzen Autofahrt zum Kanal kroch ein unbehagliches Gefühl in die Glieder und irgendwie auch in die Köpfe.

Wir sprachen es nicht aus, aber ich bin sicher, dass wir die gleichen Worte dachten, wie es bei Paaren, die schon länger zusammen sind, nicht selten vorkommt.

Am Kanalufer überfiel uns dann die durchdringende Kälte mit aller Macht. Der leichte Nebel verlieh dem Ganzen nicht diese geheimnisvolle Aura, die man gerne solchem Wetter zuordnet.

Es war irgendwie menschenleer-morbid, aber es ist schon schwer, dafür Worte zu finden.

Der Weg am Kanal wird von vielen Menschen nicht geschätzt, weil er vordergründig wenig Abwechslung bietet. Auf der einen Seite des sich sterotyp dahin ziehenden doppelten Betonbandes ist die Kanalböschung und auf der anderen Seite, der Kanal, dessen Wasser heute kalt, abweisend und völlig bewegungslos vor sich hin brütete.

Der Schock kam ohne Vorwarnung.

Neben dem Weg lag ein toter Schwan, dessen Kopf abgerissen war. Das Weiß des Gefieders kontrastierte brutal mit dem blutigen Rot an der Stelle, wo ein Mensch oder ein Tier sich an dem Schwanenhals vergriffen hatte.

Meine Frau zog mich entsetzt weiter. Gleichwohl machte ich noch ein Foto, oder vielmehr glaubte ich ein Foto gemacht zu haben.

Später, beim Überspielen der Bilder, fehlte dann dieses Motiv, was mich sehr sehr nachdenklich gemacht hat.

Im weiteren Verlauf, als wir mit beschleunigten Schritten weiter gingen und uns über das Gesehene ausschwiegen, sahen wir diese Laterne, eine der vielen Laternen, die das Kanalufer säumen.

Die Laterne blinkte. Nur diese Laterne blinkte. Sie blinkte nicht gleichmäßig, sondern pulsierend, unregelmäßig, kommunizierend.

Die Laterne gab uns ein Zeichen.

Wir wurden angewiesen, die Treppe neben dem vereisten Wasserfall hinauf zu gehen. Wenn sie jetzt fragen, wie das möglich ist, dass uns genau dieses mitgeteilt wurde, muss ich die Anwort schuldig bleiben.

Es war eben so.

Oben angekommen, öffnete sich eine Höhlung, in die nur noch gefiltertes Licht eindringen konnte. Die Laterne schimmerte durch dichtes Gestrüpp hindurch. Jetzt zeigte sie das Dauerlicht, wie alle anderen Laternen.

Wir befanden uns nun in einem Raum, der hallenartig durch dichtes Gezweig gebildet wurde. Ein Teil des festgefrorenen Bodens wurde von dem Bach durchflossen, dessen Wasserfall wir gerade eben gesehen hatten.

Aber zwischen dem Gestrüpp war eine Mauer zu sehen. Wir dachten an einen Grabstein, der vielleicht aufgrund alter Privilegien hier vor langer Zeit mal errichtet werden durfte.

Aber es war kein Grabstein, sondern eine Mauer, an der diese Zeichnung sichtbar wurde.

Uns hielt hier nichts mehr. Wir traten fluchtartig den Rückweg an, fanden irgendwie das Auto und fuhren schweigend nach Hause.

Gut, dass es mir gelungen ist, das Zeichen auf der Mauer im Bild festzuhalten. Jedenfalls dieses Bild ist nicht auf mysteriöse Weise vom Datenspeicher der Kamera verschwunden.

Ich bin fast sicher, dass der von uns besuchte Ort nicht mehr aufzufinden ist. Von einer Benachrichtigung wissenschaftlicher Institutionen werde ich daher absehen.

Es war einmal….

Zu Vorzeiten heirateten ein Mann und eine Frau. Sie mühten sich redlich, er schuftete für einen großen Herrn und sie gebar zwei Kinder, einen Sohn und eine Tochter.

Sie zogen die Kinder groß und waren mit ihnen zufrieden. In ihrem bescheidenen Haus wurde es leer, als die Kinder auszogen, um ihren eigenen Weg zu gehen.

Da sagte der Mann zu seiner Frau: “Sieh Frau, ich habe hier in diese Kiste all die Jahre die Groschen hineingelegt, auf die wir verzichten konnten. Es ist doch ein Batzen zusammen gekommen”.

“Nun, da wir unsere Pflichten erfüllt haben, die uns mit dem Bund der Ehe enstanden sind, möchte ich mit dir, Frau, eine Reise tun”.

Die Frau, auch wenn sie lieber am heimischen Herd geblieben wäre, willigte ein und traf die nötigen Vorbereitungen.

Sie baten einen Nachbarn, während ihrer Abwesenheit nach dem Rechten zu sehen und mieteten eine Kutsche, mit der sie am frühen Morgen eines sonnigen Tages die Reise antraten.

Es war eine lange Reise, aber eines Tages kamen sie in das Land der Muselmanen und bezogen ein einfaches Quartier am Meer.

Nachdem sie es sich einige Zeit hatten gut gehen lassen, wurde der Mann von Unruhe erfasst und sagte zu seiner Frau: “Frau, lass uns einen Ausflug machen. Hier am Meer ist es zwar schön, aber dort hinten, hinter den Bergen, ist es vielleicht noch schöner”.

Die Frau seufzte innerlich, denn sie war eine ängstliche Natur. Um des lieben Friedens willen gab sie aber nach, und am nächsten Tag brachen sie auf, diesmal auf kleinen kräftigen Pferden und in Begleitung eines ortskundigen Türken.

Der Weg zu den Bergen hin war nicht einfach. Einmal mussten sie sogar über ein uraltes Viadukt reiten und hatten so manchen bangen Augenblick zu überstehen, wenn das brüchige Gemäuer unter den Pferdehufen bröckelte.

Hinter dem Viadukt erhoben sich die Berge, die der Mann unbedingt hatte erreichen wollen. Außer ihnen, schien es hier keine Menschenseele zu geben.

Sie waren schon im Begriff, ihr Lager für die Nacht aufzuschlagen, als ihnen, wie aus dem Nichts, plötzlich ein älterer Mann, bekleidet mit einem Pullover aus Schafswolle und einer schlichten grauen Hose entgegen trat.

“Habt keine Angst,” sagte er, “ich bin nur ein alter Mann aus dem Land, das eure und auch meine Heimat ist. Kommt mit mir, diesen schmalen Weg hinunter. Dort werden wir ein Plätzchen finden, an dem sich gut essen und trinken lässt. Und ein Nachtlager für jeden von euch wird sich auch finden”.

Der Mann und die Frau fassten sofort Vertrauen in diesen Fremden, weil er die Sprache ihrer Heimat sprach und auch sonst ein freundliches Wesen zeigte.

Ihr türkischer Begleiter allerdings verabschiedete sich nun und trat, nach dem er seinen Lohn bekommen hatte, den Rückweg zum Meer an.

Der Weg, den sie noch zu gehen hatten, war nur kurz und sie kamen an einen Platz, der wunderschön an einem See gelegen war.

Sie wurden von einem freundlichen Wirt in Empfang genommen und an einen Tisch geführt, der in einem Garten stand.

Als der Fremde das nachdenkliche Gesicht der Frau sah, die es gewohnt war, dass der Tisch immer mit einem sauberen Tischtuch gedeckt war, sagte er: “Habt keine Angst, ihr werdet hier essen und trinken, wie es schöner nicht sein kann”.

Und wirklich, der gebackene Fisch, der auf den Tisch kam, war so schmackhaft, wie ihn auch der König von Frankreich nicht besser haben konnte. Und auch der Wein, kräftig und bodenständig, war nicht zu übertreffen.

Nachdem sie gegessen und getrunken hatten, erzählte ihnen der Fremde, Otto hieß er, seine Geschichte.

Er war nun müde, nach all den Jahren in der Fremde und wollte nun nach Deutschland zurück.

“Wisst ihr, wenn man nur noch ein kleines Stück des Lebensweges vor sich hat, zieht eine geheimnisvolle Kraft an den alten Knochen. Es ist die Heimat, die die letzte Ruhestätte für mich bereit hält”.

“Ich schlage euch vor, dass wir tauschen. Wie ich sehe, seid ihr ein gesundes Paar, das noch so manches glückliche Jahr vor sich hat. Nehmt mein Haus,” und er zeigte auf etwas, das jenseits des Sees in einem Wald kaum sichtbar versteckt lag, “und ich werde zurückkehren, und meine letzten Tage in eurem Haus verbringen”.

“Ihr habt jetzt Zeit bis zum nächsten Morgen. Dann aber müsst ihr euch entschieden haben und den Handel so oder so beschließen”.

Wie man sich denken kann, wurde es für die Eheleute eine unruhige Nacht. Am Morgen aber, gab der Mann dem Fremden, der nun zu einem Freund geworden war, die Hand und sagte: “Ja, wir beziehen dein Haus”.

Sie brachen zu Dritt auf, umrundeten den See und kamen in einen lieblichen grünen Wald. Es zeigte sich unerwartet ein schöner breiter Weg.

Nun sagte Otto: “Meine Lieben, ich werde euch jetzt verlassen. Geht nur diesen Weg entlang. Ihr werdet schon sehen”.

Mit diesen Worten, drehte sich Otto um, und entschwand ihren Blicken.

Mit beklommenen Gefühlen gingen sie jetzt den Weg weiter. Plötzlich verwandelt sich der Wald in einen wunderschönen Park mit Palmen und exotische Pflanzen aus aller Herren Länder.

Ein Teich, dessen klares Wasser an den Ufern mit weissem Marmor eingefasst war, schimmerte vor ihren Augen.

Und aus dem herrlichen Grün schimmerten ihnen die Steine und Balustraden eines stattlichen Hauses entgegen.

Sie näherten sich mit klopfenden Herzen und betraten das Haus, nein den Palast, durch einen zierlichen Torbogen.

Es öffnete sich eine Halle, die himmelwärts in unvergleichlicher Pracht aufragte.

Unter einem doppelten venezianischen Kronleuchter rieselte köstliches Nass aus einem achteckigen Brunnen, der in mehreren Ringen erbaut war und mit kostbarsten Fayencen bedeckt war.

Wer will die Freude des Mannes und der Frau schildern, die jetzt in ihre Herzen einzog. Die Feder des Erzählers sträubt sich hier und verweigert ihren Dienst.

Es zeigte sich, dass das Haus von dienstbaren Geistern versorgt wurde, die im Sinne ihres früheren Herrn alles Erdenkliche taten, um den neuen Herren alle Wünsche von den Lippen abzulesen.

Der Mann und die Frau, ihre Namen waren Heinrich und Lieselotte, lebten hier nun glücklich und zufrieden. Einmal wurden sie sogar von ihren Kindern und Kindeskindern besucht.

Und wenn sie nicht gestorben sind, so leben sie noch heute.

Schneckendeckel

Bei einem ehelichen wochenendlichen Spaziergang am Nordostseekanal haben wir an der sonnenbeschienenen Böschung ganz viele Schneckengehäuse gesehen. Eines dieser Gehäuse war mit einem weißen Deckel säuberlich abgeschlossen.

Googelige Recherche hat Folgendes zu Tage gefördert:

Im Winter sucht sich die Schnecke ein sicheres Plätzchen und verschließt ihr Häuschen mit porösem Kalk. In einer Winterstarre übersteht sie so den kalten Winter.

Ist es nicht schön, dass die Natur so praktische Lösungen gefunden hat?

Zensur

lehne ich natürlich ab. Aber an dieser Stelle stand ein Beitrag, der der Selbstzensur zum Opfer gefallen ist.

Ich habe mir überlegt, dass ein Mann meines Alters und meines Standes, der Vater von zwei Töchtern ist, sich nicht in der Weise zu einem weiblichen Organ (Organ?) äußern sollte, wie ich es tat.

Das soll jungen, kämpferischen Männern wie Semmel vorbehalten bleiben, die sich noch erinnern können, wie die ganzen komplizierten Vorgänge zusammen hängen.

Ich bitte daher um Nachsicht, zumal mir bekannt ist, dass ein Leser zu dem gelöschten Beitrag kommentieren wollte.